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Schildkröte

Ich liege auf der Matte. Loil sitzt daneben. Ich atme durch den Mund kräftig ein und aus. Mein Körper lädt sich auf. Ich spüre ein starkes Kribbeln überall im Körper. Dann ein Druck im Zwerchfell, in der Brust. Ein Gefühl im Bauch, als zögen sich meine Eingeweide zusammen. Loil greift nicht ein. Sitzt bloss neben der Matte, ich spüre ihn neben mir. Ich atme weiter. Der Druck, das Zusammenziehen wird stärker und unangenehm. Soll ich kämpfen? Die Frage erübrigt sich, als unvermittelt ein Bild vor mir auftaucht: Eine Schildkröte, die auf dem Rücken auf dem Strand an der gleissenden Sonne liegt. Sie bewegt schwach ihre Beine, ihr Kopf ist schwer nach hinten gebeugt. Sie liegt im Sterben. Sie wird sich nicht mehr drehen können. Und bevor ein weiterer Gedanke auftauchen kann, bin ich diese Schildkröte. Ich fühle den Panzer, die Unbeweglichkeit, die Hilflosikeit. Ich fühle ihr Sterben: Nur wenige Atemzüge noch, ganz ohne Anstrengung. Ein langsames, sachtes Weggleiten. Ruhe breitet sich in mir aus. Keine Angst. Keine Verzweiflung. Es ist gut so. Und gerade als ich das endgültige Weggleiten spüre, berührt Loil mit einer Hand meinen Nacken. Es fühlt sich an, als sei eine Feder über meine Nackenhaut hinweg geglitten. Mir wird schlagartig bewusst, dass ich mit unnatürlich nach hinten gebeugtem Hals auf der Matte liege. Für einen Augenblick spüre ich Verzweiflung über die starre Bewegungslosigkeit meines Nackens. Dann das Unerwartete: Die Blockade in meinem Nacken löst sich und von dieser Lösung ausgehend, fliesst ein Strom von Energie langsam, aber stetig in jeden Winkel, jede Zelle meines Körpers. Und mit diesem Strom beginnt auch ein anfangs kaum wahrnehmbares Zittern, Ruckeln und Zappeln. Das Zittern, Ruckeln und Zappeln wird stärker, es fühlt sich an, als ob sich alle Teile meines Körpers selbständig machen würden, um ihren eigenen vertrackten Tanz zu tanzen. ES tanzt in mir. Eine Ewigkeit. Obwohl es sich für mich gut anfühlt, steigt zwischendurch Scham in mir auf. Was denken all die andern, die um die Matte herumsitzen und mir zusehen? Wie sehe ich bloss aus? Wie ein Spastiker? Wie wird das enden?

Nach einem von mir als unendlich lange empfundenen Tanz, auf dessen Ablauf ich willentlich keinen Einfluss habe, werden die Bewegungen kleiner, hören auf. Zurück bleibt in mir das Gefühl einer riesigen Ausdehnung meines Feldes, das zutiefst innen mit meinem Körper verbunden ist. Ich fühle mich ganz wie noch nie im Leben.

Die Auswirkungen dieser Mattenarbeit in meinem Alltag waren: Alles, was ich nach dieser Mattenarbeit tat, tat ich so, als ob ich es zum ersten Mal tun würde. Ich tat es langsam und mit Bedacht. Einen Löffel halten, damit essen, trinken aus einem Glas, das Berühren von Dingen mit meinen Händen, das Gehen auf der Erde – alles, als sei ich eben neu geboren worden. Verbunden mit jeder Handlung war das Staunen darüber, dass es mich und die Welt gibt. Dazu kam, dass ich die Menschen, mit denen ich in Kontakt kam, auf eine Weise sehen und erkennen konnte, wie es mir zuvor nicht möglich gewesen war. Es war eine Tiefendimension dazu gekommen, die mir zuvor verschlossen gewesen war. Diese Veränderung hat bis heute Bestand.

Mattenarbeiten

Ich lasse R. verstärkt atmen, was er ohne sichtbare Anstrengung tut. Nach kurzer Zeit fängt sein Becken an, sachte zu wippen. Seine Füsse werden unruhig, er fängt an, mit den Fusssohlen auf der Matte zu reiben.

M.B.
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Ich fühle ihr Sterben: Nur wenige Atemzüge noch, ganz ohne Anstrengung. Ein langsames, sachtes Weggleiten. Ruhe breitet sich in mir aus. Keine Angst. Keine Verzweiflung.

M.B.
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Hör auf mit dem Scheissatmen! sagt eine Stimme in mir. Wozu atmen? Wozu dieses verdammte, anstrengende Atmen, das nirgendwohin führt? Diese sinnlose Anstrengung – hör auf damit!

M.B.
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Sofort beginnt ein Kampf. Er bemüht sich, meine Vorgabe zu erfüllen und die Augen zu öffnen. Vor Anstrengung grimassiert er dabei. Er kann die Augen jeweils kurz aufreissen, dann drückt, ja presst eine Gegenkraft sie wieder zu.

M.B.
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